Sonntag, 30. November 2014

irreversibel

Es sei seltsam, hatte sie gesagt, immer wenn wir an einer Einrichtung vorbei fahren, die sich um Alte, psychisch Kranke, oder sonstwie hilfsbedürftige Menschen kümmert, bekäme sie ganz heimische Gefühle, wünscht sich dort zu sein. Keine Sorgen des Alltags, sich einfach loslassen, keinerlei Verantwortung zu haben.

Ihre Mutter, flog damals 1963 aus der elterlichen Wohnung, nachdem heraus kam, dass sie schwanger ist. Der Opa, ein gebildeter Mann, Diplominginieur, die Oma riegeldumm. Vermutlich war Oma schon völlig überfordert mit den beiden Kindern - ich weiß es nicht. Die Mutter landete jedenfalls mit dickem Bauch im Städtle in Stuttgart, nachdem Sie von Zuhause rausgeflogen war. Noch im Kreissaal hat es zu ihr, vermutlich der Zeit angepasst, geheissen: "stell dich nicht so an, als es (das Baby) reingekommen ist, hast du doch sicher auch nicht so ein Theater gemacht"

S. wurde vom Wochenbett weg in ein Kinderheim gegeben. Später zweimal in Pflegefamilien. Sie sei als Baby in den Einrichtungen sehr beliebt gewesen, sie hätte so ein schönes lächeln gehabt. Wenn sie lächelt wird sie versorgt, wenn sie lächelt erhält sie Aufmerksamkeit. Vermutlich hat sie noch nie grundlos gelächelt.

Zwei Jahre später hat ihre Mutter einen Mann, einen Mann der Vater ihres Halbbruders und Ehemann der Mutter wird. Ein weiteres Jahr später darf sie "nachhause". In ein Zuhause, mit einem Bruder der ein "Schreikind" ist, der die volle Aufmerksamkeit seiner Mutter fordert, der keine Nacht durchschläft, der jede Nacht spukt - da hilft ihr nicht mal ihr Lächeln. Der Stiefvater arbeitet 24 Stunden bei der Feuerwehr, in seiner Freischicht arbeitet er auf dem Bau, schließlich will sich die Familie etwas leisten. Die Mutter ist somit immer noch auf sich alleine gestellt.







Irreversibel, unumkehrbar. Jedesmal wenn ich irgend einen Politiker oder Kirchenmann gegen Abtreibung reden höre und jedes Mal wenn ich von so jemanden höre, die Frauen sollen sich für das Kind entscheiden es gäbe die Möglichkeit der Adoption, es gäbe staatliche Unterstützung, fällt mir meine Gattin ein, die noch immer unter diesen ersten drei Jahren ihres Lebens leidet und nach wie vor ihre Schwierigkeiten, ihre Sehnsüchte und Süchte hat.